Allgemein
Martin Koch
„… möchten wir Sie zu einem ersten Online-Kennenlernen einladen.“ Immer häufiger erhalten auch unsere Kandidaten derartige Einladungen. Was die zurückliegenden Pandemiejahre lediglich beschleunigt hat, wird im Zuge effizienter, moderner und komfortabler Recruitingprozesse immer mehr zur betrieblichen Normalität.

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Noch vor wenigen Jahren bildete selbst das Telefonat, welches vorab mit Bewerbern geführt wurde, die rühmliche Ausnahme. Mittlerweile behaupten die ganz verwegenen Digital Natives des Recruitings, den gesamten Auswahl- und Einstellungsprozess zwischen Bits und Bytes abbilden zu können.

Aus meiner Sicht ist und bleibt Recruiting „People Business“! Zwei oder mehrere Menschen entscheiden sich bewusst dazu, in Zukunft zusammenarbeiten zu wollen und dabei meist mehr Zeit miteinander zu verbringen, als mit dem eigenen Partner. Sie wollen gemeinsam Ziele erreichen, Niederlagen hinnehmen und machen den eigenen Erfolg damit auch ein Stück weit vom anderen anhängig. Dies wird, ohne dass man sich mal tief in die Augen geschaut hat, ohne dass man weiß, ob man den anderen riechen kann, ohne das gute Gefühl eines Händedrucks, sicherlich nicht funktionieren.

Dennoch kann der Recruitingprozess, der ja ohnehin durch Social-Media-Ads, das Active Sourcing in den sozialen Netzwerken und die sich immer weiter durchsetzende One-Click-Bewerbung geprägt ist, auch im zwischenmenschlichen Austausch teilweise online stattfinden. So lassen sich in einem Online-Gespräch Informationen genauso gut, durch den Einsatz von Multimedia vielleicht sogar besser austauschen. Auch finden Fragen online in ähnlich guter Weise zu ihren Antworten. Der Prozess gewinnt an nie dagewesener Effizienz, Reisezeiten und -aufwand sind gleich Null, selbst die paar Minuten in den nächsten Konferenzraum entfällt beim Austausch am eigenen Schreibtisch. Die Vielfalt der Gesprächspartner ohne Rücksicht auf Ländergrenzen, Kontinente und Ozeane lässt sich beliebig erhöhen, wobei hier auch Vorsicht geboten ist, die Gesprächspartner nicht zu überfordern. Selbst der obligatorische Kaffee mit Gebäck muss zwangsläufig entfallen, bzw. liegt in der Versorgungshoheit eines jeden selbst. All dies führt zu Effizienzsteigerungen in Zeiten voller Terminkalender und macht den Prozess insgesamt schneller und kostengünstiger.

Je nachdem, über wie viele Bewerbungen verfügt wird, kann dies auch dazu einladen, das eine oder andere Gespräch mehr zu führen und sich damit einen breiteren Eindruck der zur Verfügung stehenden Möglichkeiten zu verschaffen. Wer kennt dabei nicht die Situation des Vorstellungsgespräches, bei dem man sich bereits nach wenigen Minuten dessen Scheitern eingestehen muss und die restliche Dreiviertelstunde nur noch der Wertschätzung dienen. Online kann man hier deutlich früher „auseinander gehen“, ohne den Bewerber, der ja eben nicht mehrere Stunden Anfahrt hinter sich hat, vollends zu brüskieren. Auf der anderen Seite erlebt man Überraschungen mit Kandidaten, die sonst dem „Aussortieren“ zum Opfer gefallen wären, sich dann jedoch als echte Alternative zeigen.

Die andere Seite der Medaille gibt es jedoch auch! Das eine oder andere Mal ist es auch uns schon passiert, dass Kandidaten, die im Online-Interview durchaus überzeugen konnten, dies im nachfolgenden persönlichen Kennenlernen nicht mehr wirklich bestätigen. Entweder waren Sie der natürlichen Vorstellungsgesprächsatmosphäre nicht gewachsen, was im Gespräch vor dem heimischen Computer nicht zum Tragen kam. Oder die Abstriche, die man an das Erfühlen von Persönlichkeit im Rahmen eines Online-Gesprächs machen muss, haben dann doch zu einem Mehr an Fehleinschätzung geführt.

Als Fazit lässt sich feststellen, dass die mittlerweile fast schon zu einer Art Normalität gewordenen Online-Gespräche im Recruiting dabei helfen können, einerseits Zeit und Geld zu sparen und sich andererseits einen etwas breiteren Kandidatenkreis zu erschließen. Auch klar ist, dass an die Sorgfalt der Vorbereitung und die Konzentration der Gesprächspartner keine Abstriche gemacht werden können. Im Gegenteil, in der Online-Gesprächs-Situation ist das Transportieren von Sympathie und Wertschätzung – für den Kandidaten meist die entscheidenden Kriterien für eine positive Auswahlentscheidung – in gleichem Maße wichtig, jedoch deutlich schwieriger. Schließlich müssen wir Fehleinschätzungen akzeptieren, die dabei realisierten „Verluste“ überwiegen die Vorteile aus meiner Sicht deutlich. Das Online-Gespräch ist und bleibt daher sinnvolle Ergänzung und Vorbereitung auf eine letztlich sehr menschliche Entscheidung.